Das Palm Pre gibts nun auch in der Schweiz (Test und Review)
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Palm? Wer oder was ist das...?
Einige ältere Semester unter Ihnen, liebe Leser, dürften sich noch schwach erinnern an Palm, den ehemals übermächtigen Hersteller von PDAs. Palm wäre allerdings beinahe abgekratzt in den letzten Jahren, wenn man das so sagen darf. Selbstverschuldet allerdings, wie man auch auf Engadget nachlesen kann, denn wenn man über viele Jahre hinweg immer und immer wieder die gleichen Geräte verkauft (einfach mit einer anderen Schale drumherum und mit einem achtjährigen Betriebssystem, dessen Versionsnummer man gelegentlich zwei Stellen hinter dem Komma etwas aufhübscht), muss man sich nicht wundern, wenn die Konkurrenz plötzlich übermächtig wird und einen auch die treuesten Fans im Stich lassen...
Immerhin - man scheint das Problem noch knapp rechtzeitig erkannt zu haben: Palm hat im letzten Januar mit einem Paukenschlag ein komplett neues Gerätekonzept für ein Smartphone vorgestellt, mit neuer Hardware, mit kapazitivem Touchscreen und elegant ausschiebbarer Tastatur, und mit einem neuen Betriebssystem namens "WebOS". Das Palm Pre.
Laut dem neuen grossen Investor von Palm, Roger McNamee, antwortet das Pre auf E-Mails, bevor man sie bekommt, kommt mit einer Million Followers auf Twitter und nutzt Alien-Technologie. Es hilft einem auch, drei Pfund abzunehmen. Und: Es isst iPhones zum Frühstück. Zusammengefasst: Das Pre ist mit anderen Worten das grossartigste Produkt, das je erfunden wurde.
Die Erwartungen waren jedenfalls gross: Immerhin gilt Palm bei Insidern noch heute als das höchste aller Gefühle, wenn es um effiziente Bedienung von PDAs und Smartphones angeht. Und das Gerät verkauft sich in der Tat nicht schlecht in den USA - dem Vernehmen nach gingen seit der Markteinführung im Juni rund 800'000 Geräte über den Ladentisch.
Seit Montag ist das Palm Pre nun in einer für europäische Mobilnetze geeigneten Version für 749 Franken bei digitec.ch erhältlich (mit Abo auch viel billiger). Die Geräte wurden offensichtlich aus Deutschland importiert, wo das Pre seit etwa zehn Tagen verfügbar ist. Das Gerät läuft derzeit auf dem Netz von Orange anstandslos und auf dem von Sunrise ohne MMS-Unterstützung. Auf dem Netz von Swisscom läuft es im Moment gar nicht.
Der vorliegende kurze Review soll einen Überblick geben über meine Erfahrungen von einer knappen Woche Einsatz. Ich beschränke mich dabei auf die Frage, ob das Telefon meine eigenen Bedürfnisse befriedigt. Umfassende Reviews finden sich bei Engadget oder auf Deutsch bei golem.de.
Hands-On
Die kleine Schachtel ist schnell geöffnet, und zuoberst lacht einen gleich ein überraschend kleines, elegantes schwarzes Etwas an. Das Telefon hat keine ebenen Flächen, ist also sozusagen rundum rund, und es liegt angenehm schwer und wertig in der Hand. Kein Wunder allerdings, Immerhin hat Palm zuvor Apples "Mr. iPod" an Bord geholt: John Rubinstein.
Beim Herausschieben der QWERTZ-Tastatur verfliegt der wertige Eindruck aber schnell. Das Gerät ist vollständig aus Kunststoff. Es knarzt zwar nicht gerade, wie an gewissen Orten gemeckert wird, aber der Ton beim Draufklopfen erinnert schon mehr an ein Tupperware als an ein 750 Franken teures Smartphone.
Erste Gehversuche und ein Blick auf die Tastatur
Das Einrichten geht rasch vor sich: Akku-Deckel auf (ja, der Akku kann ausgetauscht werden, aber das Öffnen geht nur mit Fingernagel-Einsatz - nicht gerade elegant...), SIM-Karte einlegen, Gerät einschalten. Nach der etwas länglichen Boot-Zeit mit elegantem Palm-Logo zeigt das Gerät sofort meinen Provider Sunrise an und leitet durch eine kurze Installations- und Einführungsphase.
Und da kommt auch schon die erste SMS rein - Gelegenheit für den ersten Einsatz der ausschiebbaren Tastatur, die DAS Unterscheidungskriterium des Pre zum allgegenwärtigen iPhone ist.
Die Meinungen in der Blogosphäre zur Tastatur gehen ja komplett auseinander: Gewisse Leute fluchen, andere loben sie. Ich kann beide verstehen:
Wenn man die Tastatur zum ersten Mal einsetzen will, ist die Enttäuschung gross. Die Tasten sind aus billigem quietschigem glänzendem Kunststoff und winzig klein und flach, sodass man sie zunächst kaum unterscheiden kann, geschweige denn trifft. Zudem ist der Rand des nach oben weggeschobenen Displays im Weg beim Treffen der obersten Tastenreihe. Und dann ist die Eingabe von Umlauten zuerst nicht nachvollziehbar. Kann es tatsächlich sein, dass die Amis sie vergessen haben...? Und wie setzt man den Cursor neu, wenn man einen Fehler korrigieren will? Man sieht ihn ja nicht unter dem Finger, und eine Lupe wie beim iPhone gibts nicht.
Nach einigen Tagen Angewöhnung muss ich aber zugeben, dass die Tastatur so schlecht nicht ist. Das Tippen geht zwar weniger leicht von der Hand als auf dem iPhone, weil man die Tasten drücken muss und nicht bloss antippen, aber das Ergebnis ist unter dem Strich ähnlich schnell: Ich tippe zwar langsamer auf dem Pre, aber man spürt die Tasten doch etwas und haut damit viel seltener daneben als beim iPhone, sodass weniger Tippfehler zu korrigieren sind. Zudem macht das iPhone gerade bei schweizerdeutschen Texten (wer schreibt SMS heute noch auf Hochdeutsch?) noch immer viele falsche Korrekturvorschläge, die man wegtippen muss.
Achja, die Umlaute: Sym-Taste, Buchstabentaste, Sym-Taste. Und schon
ist der Umlaut getippt. Das braucht etwas Fingerakrobatik, ist aber
nach zwei Tagen schon im Stammhirn verankert, sodass man nicht mehr
nachzudenken braucht und die Umlaute mindestens dreimal so schnell
schreibt wie auf dem iPhone, bei dem man immer zuerst gefühlte fünf
Sekunden aufs Ausklappen des Umlautmenüs warten muss.
Und das
mit dem Cursor: In der Anleitung steht, zum Setzen des Cursors solle
man die orange Optionstaste drücken und auf den Bildschirm tippen (dito
fürs Markieren von Text, einfach mit der Umschalttaste). Das
funktioniert sehr gut, und man sieht die Einfügestelle auch
hervorragend. Denn niemand hat gesagt, dass man fürs Verschieben des
Cursors genau auf die gewollte Textstelle tippen müsse. Mit dem
Festhalten der besagten Taste erscheint ein besondere Cursor, den man
mit Gesten, die man irgendwo auf dem Bildschirm ausführt, bewegen kann.
Hervorragend gelöst, wenn man mal rausgefunden hat, wies funktioniert.
Dennoch vermisse ich die hervorragende Tastatur, die das Palm Treo schon vor Jahren hatte. Warum hat Palm das dort vorhandene Know-how nicht genutzt? Einen guten Millimeter Raum für die erhabenen rundlichen Tasten des Treo hätte es unter dem Schiebedisplay nämlich locker gehabt. Palm hat eine riesige Chance vertan, Apple mit einer perfekten Tastatur im Regen stehen zu lassen. Nun ist man nur knapp gleichauf. Und das reicht nicht.
Die Software
Beschreibungen von der Funktionalität gibts ja wie gesagt zur Genüge bei Engadget und Golem. Ich halte mich daher kurz. Vorab mal so viel: Das Konzept ist gut, es ist sogar sehr gut.
Nach drei Tagen kann ich mir schon nicht mehr vorstellen, jemals ohne Multitasking gearbeitet zu haben: Man kann die Programme offen lassen und mit einem langen Swipe - einer Fingerstrich-Geste unter dem Display nach links oder rechts - zwischen ihnen wechseln. Wer Freude an grafischen Effekten hat, drückt den zentralen Knopf und sieht danach die offenen Anwendungen wie Spielkarten nebeneinander auf dem Display. Ebenfalls mit einem Fingerstrich kann zwischen ihnen gewechselt werden. Sieht zwar schöner aus, dauert aber länger.
Wenn die Anwendung offen ist, kommt sie auch blitzschnell wieder auf den Bildschirm, wenn man sie aus dem Menü aufruft. Und man kann durchaus ohne Geschwindigkeitseinbusse fünf oder sieben Anwendungen gleichzeitig offen haben.
Toll gelöst: Kommen Meldungen herein, SMS, neue Mails, Kalenderalarme oder so, so stehen diese für einige Sekunden unten auf dem Display, aber man kann in der bisherigen Anwendung weiter arbeiten. Später schrumpfen sie zu einem kleinen Symbol zusammen, das man jederzeit antippen kann, um die Meldung wieder zu sehen. Tippt man auf die Meldung, öffnet sich die passende Anwendung und man kann zB auf eine SMS antworten. Will man die Meldung ignorieren, schiebt man sie einfach mit dem Finger zur Seite.
Als iPhonekalendergeschädigter (Wie viele Termine habe ich bloss schon verpasst wegen diesem vermaledeiten Stück Software?) freute ich mich natürlich besonders auf das Gegenstück auf dem Pre. Zumal der Kalender unter PalmOS ein Glanzstück war. Und die Sache ist tatsächlich besser: Es gibt eine Tagesansicht, bei der man alles auf einen Blick sieht (unbesetzte Stunden werden in einer "Handorgel" zusammengefasst), und ja, der Alarm ist automatisch eingeschaltet, wenn man einen Termin neu eingeben will. Meine beiden Hauptkritikpunkte am iPhone-Kalender sind damit aus dem Weg geräumt.
Das tönt nun alles etwas schön, um wahr zu sein. Ist es auch. Denn die Software hat noch viele Ecken und Kanten. Wo stellt man eine 24-Stunden-Uhr ein? "Vorm." und "Nachm." sind zwar schöne Übersetzungen für a.m. und p.m., aber leider doch völlig ungebräuchlich. Warum muss man einmal nach links und einmal nach rechts "swipen", und warum kann man Listeneinträge mal mit Swipe, und mal nur via das Menü löschen? (Und vor allem: Warum wird ein Drittel der Swipes nicht erkannt?) Warum hat das Gerät überhaupt einen Knopf, wenn man doch alles mit Gesten erledigen kann? Und warum werden die vorhandenen Möglichkeiten nicht genutzt, optisch auf Alarme etc. hinzuweisen? (Der Knopf würde sich zumindest hierfür hervorragend eignen.)
Zudem ist die Software oft zu langsam. Es mag sein, dass das Pre bei der Markteinführung im Juni noch einigermassen mit dem damaligen iPhone 3G mithalten konnte. Aber das 3GS hängt das Pre heute in den meisten Fällen locker ab. In vielen Anwendungen - so im Kalender oder beim Musikpieler, muss man zu lang auf Reaktionen warten. Oft bleibt es unklar, ob das Telefon Eingaben überhaupt mitbekommen hat, sodass man nochmals über den Gestenbereich streicht. (Und am Schluss wars dann doch einmal zu viel.) Und wenn Musik läuft, ist das Gerät nahezu unbedienbar langsam. Da gibt es noch viel Optimierungspotenzial. Aber vielleicht gibts Hoffnung: HTC hat es bei seinem "Hero" auch geschafft, mit einem Softwareupdate mehr Schuss zu verleihen.Â
Internet
Endlich gibt es ein zweites Gerät auf dem Markt, das einen mit dem iPhone vergleichbaren Browser hat. Der Browser ist schnell, der Bildaufbau scheint mir sogar schneller als auf dem iPhone 3GS, vor allem bei normalen, nicht auf Mobilgeräte ausgerichteten Websiten. Die Darstellung ist gerade bei diesen hervorragend.
ABER: Die Schrift ist bei Mobilseiten, die ich auf dem Handy wegen der rascheren Ladezeit über das Mobilfunknetz bevorzuge, oft viel zu klein. Öffnet man beispielsweise die Mobilseite des Tagesanzeigers, so ist die Schrift unlesbar klein. Man kann diese nun zwar mit der vom iPhone her bekannten Zweifingergeste grösser machen, muss aber - weil kein neuer Umbruch gemacht wird - laufend hin und her scrollen. Und auch NZZ online ist nur knapp lesbar. So macht das halt doch deutlich weniger Spass als auf dem iPhone.
Akku
Mit etwas überdurchschnittlichem Gebrauch reicht der Akku nicht mal bis zum Abend. Und man kann beim Gebrauch förmlich zusehen, wie der Stromvorrat schmilzt. Also entweder im Büro eine zusätzliche Ladestation einrichten, das Pre nicht mehr als nötig brauchen oder es nicht kaufen.
Besonders ärgerlich: Wenn das Gerät mal wegen Strommangels ausgestiegen ist ist, kann man es auch nach dem Anstöpseln am Strom nicht gleich wieder zum Leben erwecken, sondern es braucht 10 Minuten, um sich wieder zu erholen. Und mit etwas Pech schaltet es sich dann gleich wieder ab, wenn man damit zu arbeiten beginnt... auch mit angestecktem Stromkabel.
Speicher
8 GB Speicher sind im Herbst 2009 zu wenig. Zumal man das Gerät nicht einmal mit einer Speicherkarte aufrüsten kann. Als "Tank" für die Musiksammlung taugt es also nur bedingt (obwohl das Beladen recht einfach geht: Gerät anstöpseln und im Explorer öffnen, Ordner mit Musik mit der Maus hinüberziehen, fertig.), und Videos füllen den Speicher ohnehin sofort bis zum Rand.
Fazit
Das Palm Pre ist noch immer eine 1.0-Version. Meine Hoffnungen, Palm würde die Zeit vor der Markteinführung in Europa
nutzen, um das Gerät nochmals signifikant zu verbessern, haben sich
nicht erfüllt.
Zwar sind viele gute Ideen vorhanden, aber deren Potenzial wird nicht ausgeschöpft, weil sie oft nur hakelig umgesetzt sind. Die Software wäre wohl effizient bedienbar, wenn das Gerät Fingergesten regelmässig erkennen würde und wenn man nicht immer mal wieder warten müsste, bis sich das Gerät von Eingaben erholt hat. Es erinnert mich diesbezüglich an das erste iPhone, das ich auch nach einigen Monaten wieder verkauft habe. Unter anderem weil es zu langsam war.
Wer allerdings weniger ungeduldig ist als ich und sporadische Wartezeiten verschmerzen kann, wer keine Lust hat, 1200 Franken für ein iPhone auszugeben (oder dieses Geld in einem iPhone-Abo versteckt ratenweise abzustottern), wer das Telefon nicht regelmässig unterwegs zum Surfen braucht, aber doch einen anständigen Browser möchte, und wer nicht seine ganze Musiksammlung auf seinem Handy mit sich rumschleppen will, bekommt ein durchaus brauchbares Gerät für den täglichen Einsatz.
S. Schlauri
Admin, 23.10.2009 | Permalink
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